In Recht

Ulrich Herfurth, Rechtsanwalt in Hannover und Brüssel,
Herfurth & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover
Juni 2015
| Rechtliche Aspekte zu Industrie 4.0, Teil 1

 

Technologische Entwicklungen entstehen aus realen Bedürfnissen des Marktes und treiben die Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft an. Das Recht bildet in der Folge diese neuen Phänomene ab, um Antworten auf dabei entstehende Fragen zu finden und Lösungen für dabei auftretende Konflikte der Beteiligten zu entwickeln.

„Industrie 4.0“ ist zwar ein Schlagwort, markiert aber damit eine technologische und gesellschaftliche Entwicklung von beachtlicher Bedeutung. Zwar erscheinen viele Bausteine im Zusammenwirken der vernetzten Maschinen, Betriebe und Unternehmen als bereits bekannt, tatsächlich wird die Dimension der Datenvernetzung in der Rechtspraxis letztlich dazu führen, dass heutige rechtliche Instrumente faktisch nicht mehr so einsetzbar sind, wie wir sie kennen.

Das Recht ist lebendig und passt sich neuen Gegebenheiten und Anforderungen an, durch privatautonome Vertragsgestaltung, durch Rechtsprechung und durch Gesetzesänderungen – und zwar in der Regel in dieser zeitlichen Reihenfolge. Für die Entwicklung zu Industrie 4.0 ist daher geboten, dass sich die Rechtssetzer und die Rechtsanwender frühzeitig und vorausschauend mit möglichen neuen Entwicklungen auseinandersetzen, um dazu Lösungen vorzubereiten. Systemimmanent ist dabei, dass dies eine Auseinandersetzung auf der Grundlage von zahlreichen Unbekannten bedeutet und die rechtliche Betrachtung mit Szenarien und Annahmen arbeiten muss.

Erst im letzten Jahr hat eine spürbare rechtliche Auseinandersetzung mit der Thematik begonnen, die nun weiterzuführen und zu vertiefen ist.[1]

 

  1. Technologische Entwicklungen im rechtlichen Kontext

0.1.        Schlaglichter

  • Rechtswidrige Technologie lässt sich nicht vermarkten
  • Der Rechtsrahmen wird zunehmend europäisch und international
  • Neue Technologien sind oft nicht genau in vorhandenem Recht abgebildet
  • Aber das Recht ist anpassungsfähig über Gesetzgebung und Rechtsprechung
  • In Südkoreas Ethikcharta: „Menschen und Roboter müssen die Würde des Lebens, die Informations- und Technikethik respektieren“.
  • In Florida, Nevada und Kalifornien gibt es bereits Regelungen für den Einsatz autonomer Fahrzeuge

 

Die rechtliche Betrachtung der Mechanismen und Abläufe unter Industrie 4.0 zeigt einen breiten Querschnitt von Aspekten. Dieser ist zunächst geprägt durch ein automatisiertes und eigenständig reaktives Zusammenwirken von Ressourcen, in Konstellationen, die zum Beispiel folgendermaßen kategorisiert werden können:

 

M2M machine to machine
P2M part to machine
M2X machine to externals
M2S machine to server
S2PRI server to printer
S2L server to logistics
P2L part to logistics
H2M human to machine

 

Aus all diesen Konstellationen leiten sich unterschiedliche rechtliche Fragen ab, die anhand der entsprechenden Prozesse dargestellt werden können. Im Folgenden sind einige der bereits in Diskussion befindlichen sowie weitere Fragen dargestellt.

Beispiel M2M

 

Beispiel P2M

 

Beispiel M2S  |  S2L   |  L2S

 

0.2.        Rechtliche Themenfelder zu Technologie

Die klassische juristische Sichtweise orientiert sich nach Rechtsgebieten, anhand derer die im Unternehmen auftretenden Problemstellungen erfasst werden können. Dazu wird sich eine Betrachtung von Industrie 4.0 zunächst an die wichtigsten rechtlichen Felder anlehnen, die auch bereits heute im Verhalten von Unternehmen im Betrieb, im Markt und gegenüber Geschäftspartnern eine Rolle spielen:

  • Gewährleistung
  • Garantiehaftung
  • Deliktische Verschuldenshaftung
  • Gefährdungshaftung, Produktsicherheit, Produkthaftung
  • Strafrechtliche Haftung
  • Arbeitsschutz, Betriebssicherheit, Gesundheitschutz
  • Umweltschutz
  • Wettbewerbsrecht
  • Gewerblicher Rechtsschutz
  • Datenschutz, Informationelle Selbstbestimmung
  • Datensicherheit, Geistiges Eigentum
  • Vermögensschutz, Eigentumsschutz

Allerdings  stammt diese Strukturierung eher aus einer reaktiven Sichtweise, nämlich der nachträglichen Prüfung von Sachverhalten auf ihre rechtlichen Folgen hin.

 

0.3.        Rechtliche Themenfelder nach Unternehmensbereichen

Für die vorausschauende rechtliche Unternehmensberatung ist hingegen eine an Unternehmensprozessen orientierte Betrachtung erforderlich. Diese Prozesse müssen in der juristischen Bewertung  abgebildet werden. Da zu Industrie 4.0 die Prozesse, Zusammenhänge und Wirkungen naturgemäß noch nicht vollständig und abschließend erkennbar sind, hilft die Entwicklung von Szenarien, um mögliche Situationen technologisch, ökonomisch und juristisch zu profilieren und dazu Beurteilungen und Maßnahmen zu entwickeln. Die Prozesse lassen sich zunächst den wichtigen Unternehmensbereichen zuordnen:

  • Forschung und Entwicklung
  • Produktion
  • Logistik
  • Produkte
  • Informationstechnologie und Daten
  • Markt und Kunden
  • Wettbewerb
  • Personal und Arbeit
  • Steuern und Finanzen
  • Geschäftsführung und Aufsicht

[1] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Recht und funktionale Sicherheit in der Autonomik, Leitfaden für Hersteller und Anwender, Januar 2013;

Hans Markus Wulf, Clemens Burgenmeister, Industrie 4.0 in der Logistik – Rechtliche Hürden beim Einsatz neuer Vernetzungstechnologien, CR 2015, S. 404 ff;

Peter Bräutigam, Thomas Klindt, Industrie 4.0, das Internet der Dinge und das Recht, NJW 2015, S. 1137 ff