In Recht

Ulrich Herfurth, Rechtsanwalt in Hannover und Brüssel,
Herfurth & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover
Juni 2015
| Rechtliche Aspekte zu Industrie 4.0, Teil 4

 

  1. Markt und Kunden

Bei dem Begriff Industrie 4.0 steht zunächst die Vorstellung betrieblicher Abläufe im Vordergrund. Tatsächlich beginnt aber die Informationskette bereits ganz am Anfang, also beim Kunden, der produktionsrelevante Daten generiert und damit künftig unmittelbar Prozesse auslöst. Die Informationen dringen dabei durch mehrere Stationen der Liefer- und Wertschöpfungskette. Bekannt ist dieser Vorgang bereits bei der Konfiguration von Autos durch die Kunden, die künftig im Online-Modus unmittelbar Produktionsdaten an den Autohersteller (OEM) und durch ihn an dessen Zulieferer von Tier 1 bis Tier 4 übermitteln.

Dabei sind die Daten nicht nur für die konkrete technische Herstellung relevant, sondern auch und mit wachsender Bedeutung als Kundendaten zur Bewerbung und dem Ausbau weiterer Geschäftsbeziehungen. Wenn die Daten nicht nur technische Funktion haben, sondern die persönlichen Vorstellungen und Werte des Kunden widerspiegeln, handelt  es sich um Personendaten, die dem Datenschutz unterliegen. Auch hier steht die Frage im Raum, welcher Empfänger die Daten nutzen darf und in welchem Umfang. Wichtige Fragen sind:

  • Welche Daten werden von Kunden generiert und unmittelbar in den Produktionsprozess eingespielt?
  • Wie darf das Unternehmen diese Kundendaten individuell oder kollektiv nutzen?
  • Inwiefern und in welchem Umfang darf ein Unternehmen Daten seiner Kunden an seine Geschäftspartner weitergeben?
  • Welche Pflichten muss das Unternehmen seinen Geschäftspartnern auferlegen und überwachen?

 

  1. Wettbewerb

Die enge Vernetzung von Datenbeständen und Informationen führt zwangsläufig zu einer Verdichtung  der Beziehungen der Beteiligten untereinander. Geschäftspartner wissen mehr voneinander als Dritte und können dieses Wissen in neuer Dimension einsetzen, um Angebote und Leistungen für bestimmte Kunden so zu optimieren, dass Wettbewerber faktisch keine konkurrenzfähige Leistung anbieten können und damit vom Markt abgeschottet werden. Besonders bindungsgeneigt ist die Ausstattung der Kunden mit Software, die sich in ihrer Systematik hin zu Biotopen entwickelt und keine Alternativen mehr zulässt, zumindest keine Datenmigration ohne die Gefahr von Datenverlust oder Datendesorganisation. In vielen Fällen wird auch ein Systemwechsel allein an dem zu erwartenden wirtschaftlichen Aufwand scheitern. Wettbewerbsrechtlich kritisch sind insbesondere Vorgehensweisen zu beurteilen, bei denen der Anbieter verschiedene Programme und Funktionen miteinander so in Paketen verbindet, dass der Nutzer entweder keine Alternativen nutzen kann oder er darauf aus Bequemlichkeit verzichtet. Die Beispiele, in denen Anbieter von Software, Hardware, Netzleistungen und Speicherleistungen derartige Kopplungen lancieren, sind bereits heute im Markt von Verbrauchern, aber auch Unternehmen zahlreich. Wichtige Fragen sind zum Beispiel:

  • Dürfen durch enge Verknüpfungen Mitbewerber faktisch ausgeschlossen werden?
  • Wo ist die Grenze zum unzulässigen Verdrängungswettbewerb?
  • Dürfen (und wenn ja, inwieweit) Erkenntnisse aus gelieferten Datenbeständen ausgewertet und (für andere Zwecke) verwertet werden?
  • Wie können sich Datenzulieferer davor schützen, sich durch die Verfügbarmachung ihrer Daten / Programme selbst überflüssig zu machen?
  • Wie sind Updates unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen?

 

  1. Personal und Arbeit

Wenn Maschinen, Anlagen und Systeme immer weiter fortschreitend intelligente Funktionen übernehmen, werden sich neue Fragen zur menschlichen Arbeit ergeben. Bereits heute sind Menschen in den betrieblichen Prozesse intensiv maschinenbezogen tätig. Die Abläufe haben sich durch Informationstechnologie massiv verändert: einerseits sind zahlreiche einfache und höhere Tätigkeiten ersatzlos entfallen, andererseits sind für die heutigen Mitarbeiter die Anforderungen in der Handhabung von Systemen gestiegen. Dies gilt nicht nur in der Produktion, sondern auf allen Ebenen des Betriebes. Im Wegfall einfacher Arbeiten sehen Gewerkschaften und Sozialverbände Herausforderung für die Beschäftigungspolitik, in der steigenden Verdichtung der Kooperation von Mensch und Maschine eine ethische Herausforderung zur Erhaltung humaner  Arbeitsplätze. Auf betrieblicher Ebene wird sich daher die schon heute bestehende Entwicklung und Diskussion fortsetzen: zu Steuerungen, Taktungen, Protokollierung, Sicherheitssysteme, Kommunikationserfassung und vieles mehr.

Dazu wichtige Fragen:

8.1.        Grundsatzfragen

  • Welche Rolle nimmt der Mensch im Werkprozess ein?
  • Was passiert mit Arbeitsplätzen?
  • Welche Ausbildungen / Studiengänge werden weniger / mehr nachgefragt werden?
  • Besteht noch ein Bedarf für Betriebsräte?
  • Wie verändern sich die Einflussmöglichkeiten von Betriebsräten / Gewerkschaften, wenn Arbeitskampf kein Druckmittel mehr ist?
  • Welche Bedeutung haben Schwerpunktstreiks in einer (international) vernetzten Produktion?

 

8.2.        Arbeitswelt

  • Wie sollen / können / dürfen Arbeitsplätze ausgestaltet sein?
  • Wie sollen / können / dürfen externe Plätze ausgestaltet sein?
  • Wie kann / darf Überwachung zur Qualitätskontrolle ausgestaltet sein?
  • Wie kann / darf Überwachung zum Arbeitsschutz ausgestaltet sein (Kameraüberwachung Mensch / Maschine)?
  • Welche Informationsrechte / Mitwirkungsrechte / Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat?
  • Welche Fragen können / sollen von den Tarifpartner behandelt / festgelegt werden?
  • Sollen die Vereinbarungen Allgemeingültigkeit haben?
  • Erhalten Betriebsräte neue Kontrollrechte / Mitwirkungsrechte bei personenbezogenem Datenmanagement?

 

  1. Steuern und Finanzen

Wenn in der vernetzten Wirtschaft Daten den wesentlichen Bestandteil einer technischen Funktionalität ausmachen oder als Wissen die Grundlage des Unternehmenserfolgs sind, stellt sich die Frage in neuer Dimension, wie der Wert solcher Datenbestände handelsrechtlich und steuerrechtlich zu beurteilen ist.

9.1.        Steuern

Bereits heute können am Markt erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter bilanziell aktiviert werden, für selbst geschaffene Wirtschaftsgüter hat das Unternehmen ein Wahlrecht zur Aktivierung oder Behandlung als Aufwand. Der Zuwachs oder aber die Irrelevanz von Datenbeständen sind dementsprechend zu behandeln. Für die steuerliche Anerkennung der bilanziellen Behandlung werden sich zahlreiche Grenzfälle mit Diskussionspotential ergeben.  Fragen dazu sind

  • Sind Datenbestände aktivierbare Vermögensgegenstände?
  • Wann können / müssen sie abgeschrieben werden?
  • Inwieweit beeinflussen Datenbestände / Datenströme aus internen / externen Quellen die Funktionalität und den Wert einer Maschine / Anlage / geistiger Rechte?

 

9.2.        Finanzen

Welchen Wert Datenbestände für das Unternehmen und seine Geldgeber haben, muss im Einzelfall ermittelt werden. Datenbestände können eine entscheidende Grundlage für Kundennutzen, Markterfolg  und  Ertragskraft eines Unternehmens sein.  Sie können aber auch für die reine Funktionalität von Maschinen, Anlagen und Systemen eine kritische Größe sein, wenn durch sie erst Maschinen produktiv eingesetzt werden können. Die Schwankungsbreiten zur Bewertung von Maschinen und Anlagen werden größer werden – das bedeutet eine herabgestufte Bewertung von Maschinen als Sicherheiten in der Kreditvergabe für Anlageninvestitionen. Daher dürfte die Finanzierung durch Bankkredite zurückgehen, während markt- und ertragsorientierte Finanzierungsmodelle weiter Platz greifen, insbesondere durch spezialisierte Leasinganbieter.

  • Inwieweit beeinflussen Datenbestände / Datenströme aus internen / externen Quellen die Funktionalität und den Sicherungswert einer Maschine / Anlage / geistiger Rechte für Finanzierungszwecke?
  • Inwieweit verändert dies das Anlagevermögen und das Eigenkapital?
  • Müssen neue Finanzierungsinstrumente eingesetzt werden? Leasing, Factoring etc?
  • Wie verändern sich Finanzierungsmodelle, wenn ein Betrieb virtuell organisiert ist: gemietete Räume, geleaste Maschinen, fremdgesteuerte Prozesse, ausgelagerte Daten und Prozesse (Cloud / Outsourcing), Einsatz von Subunternehmern und Zeitarbeitern?

 

  1. Geschäftsführung und Aufsicht

10.1.      Haftung der Geschäftsführung und Aufsichtsorgane

Grundsätzlich haben Vorstand und Geschäftsführer die Geschäfte der Gesellschaft und des Unternehmens mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu führen.  Das bedeutet also, dass sie die Pflicht haben, den Geschäftszweck bestmöglich zu verfolgen und dazu die richtigen und geeigneten Maßnahmen zu treffen. Fehler sind dabei nicht ausgeschlossen, wohl aber bei entsprechender Sorgfalt vermeidbare Fehler. Die Business Judgement Rule gesteht dem Geschäftsleiter also auch Irrtümer zu, allerdings keine beliebigen. Zur Vermeidung von Fehlern darf der Leiter auch nicht in Passivität verfallen, auch das Unterlassen kann einen Fehler darstellen, wenn Handeln geboten ist. Im Kontext von Industrie 4.0 bedeutet dies für Vorstände und Geschäftsführer eine ständige Herausforderung: einerseits dürfen sie das Unternehmen nicht von dynamischen Marktentwicklungen abkoppeln, andererseits müssen sie Wege und Methoden finden, mit oft noch unbekannten Risiken umzugehen. Fragen dazu sind:

  • Welche Sorgfaltspflichten müssen Geschäftsführung und Vorstand bei Entscheidungen zur Einführung neuer Technologien beachten?
  • Wo liegen die Grenzen der Business Judgement Rule?
  • Welche Abwägungen muss ein Organ treffen?
  • Welche Sicherungssysteme muss ein Organ einrichten?
  • Wie muss es diese Systeme überwachen?
  • Können sich Organe (GF / Vorstand) für Fehler / Schäden / Verletzungen aus fremdbestimmten Abläufen in ihrem Unternehmen freizeichnen?
  • Welche Haftung trifft die Aufsichtsorgane?
  • Wie sehen wirksame Haftungsübernahmen von Geschäftspartnern aus?
  • Deckt die D&O Versicherung Haftungsfälle mit Fremdeinwirkung?

 

10.2.      Maßnahmen der Geschäftsführung / Legal Controlling

Im Ergebnis müssen Vorstand und Geschäftsführer Methoden anwenden und Systeme einrichten, die ihnen eine möglichst weitreichende Einwirkungsmöglichkeit verschafft. Die Grundsätze des Risk Managements in der Skalierung von Schutzmaßnahmen gelten auch hier: technische Risiken vermeiden, rechtliche Risikokontrollen einrichten und Risikozuordnungen organisieren, wirtschaftliche Risiken finanziell absichern:

  • Einrichtung von Sicherungs- und Kontrollsystemen als Risk-Management, Legal Controlling und Compliance Management
  • Überwachung der Systeme als Risk-Management und Revision
  • Sicherungs- und Kontrollvereinbarungen in Verträgen mit Geschäftspartnern
  • Qualitäts- und Haftungsvereinbarungen in Verträgen mit Geschäftspartnern
  • Monitoring von Vereinbarungen (Vertragscontrolling), Prozessen und Produkten
  • Monitoring der rechtlichen Entwicklungen

 

  1. Ausblick

Im Ergebnis wird das Recht eine flexible und belastbare Grundlage für die technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen unter Industrie 4.0 schaffen können. Vielfach werden sich bereits entwickelte und in der Praxis eingesetzte Methoden und Instrumente verwenden lassen, es wird aber auch bislang – zumindest in ihrer Dimension – weitgehend unbekannte Erscheinungen geben, für die das Rechte neue Instrumente schaffen muss. Dies wird in weitem Umfang durch vertragliche Rechtsgestaltung geschehen, teilweise wird der Gesetzgeber für Klarheit sorgen müssen. Vorstände und Geschäftsführer stehen in der Verantwortung, ihr Unternehmen wettbewerbsfähig und rechtssicher in die Zukunft zu führen.