In International

Sabine Reimann, Rechtsanwältin,
Herfurth & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover

 

  1. Allgemeine wirtschaftliche Lage in Brasilien

Zusammenhängend mit politischer Stabilität, einer stabilen Währung und  aufgelegten Programmen der Regierung zur wirtschaftlichen Förderung wie zum Beispiel PAC war Brasilien im Jahre 2014 mit einem BIP von 2.250 Milliarden US-Dollar die siebtgrößte Wirtschaftsmacht weltweit.

Die derzeitige allgemeine Wirtschaftslage in Brasilien ist schwierig. Inflation, Rezession und Korruption lähmen das Land. Mit einem Bruttosozialproduktrückgang um -3,0% für 2015 und einem prognostizierten Rückgang um -1,0% für 2016 wird die prekäre Lage des Landes deutlich.[1]

Die Entwicklungen in den Branchen KFZ, Maschinenbau, Chemie und Bau im Allgemeinen sind rückläufig bzw. deutlich rückläufig. Die Industrieproduktion ist im September 2015 auf ein Rekordtief von 9,5% im Vergleich zum Vorjahr gesunken, immerhin noch -1,3% im Vergleich zum Vormonat August.

Eigene Graphik, Daten: IBGE

Die Inflationsrate ist von 6,75% im September 2014 auf 9,49% im September 2015 angestiegen. Der Basiszinssatz wurde bereits auf stattliche 14,25% angehoben, um Anleger für den Kauf von Staatsanleihen anzulocken und den Real zu stärken. Seit Dezember 2014 stieg die Arbeitslosenquote kontinuierlich von 4,3% auf 7,6% im September.

Noch ist ein Aufwärtstrend nicht absehbar.

 

  1. Industrie 4.0 in Brasilien

Brasilien hat im 20. Jahrhundert erfolgreich den Schritt zur Industrienation gemeistert. Die Industriestruktur ist breit aufgestellt und profitiert von den Schutzmaßnahmen der Regierung. Es herrscht große Diversität. Neben der Rohstoffgewinnung gibt es die verarbeitende Industrie zur Herstellung von Gütern wie zum Beispiel Nahrungsmittel, Eisen, Stahl, Textilien, Fahrzeuge, Chemikalien, Papier, Schiffe und elektronische Ausrüstungen.

Das industrielle Zentrum des Landes ist die Metropolregion São Paulo, die ein Drittel zur Gesamtproduktion Brasiliens beiträgt. Weitere Zentren befinden sich in Rio de Janeiro, Belo Horizonte, Porto Alegre und Fortaleza

 

2.1.        Industrie 4.0 in Brasilien und Perspektive für Brasilien

Industrie 4.0 wird in Brasilien derzeit nur zurückhaltend wahrgenommen. Aus Sicht Brasiliens sind die Vorreiter für die Automatisierung der Prozesse Deutschland, Frankreich und die U.S.A.. In einzelnen Veröffentlichungen in der Presse wird Industrie 4.0 vorgestellt. So wird z.B. darauf hingewiesen, dass der Arbeiter 4.0 in Zukunft vier Kompetenzen mitbringen müsse: ein interdisziplinärer Abschluss anstatt eines Abschlusses in einer Disziplin, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität im Hinblick auf den Umgang mit Maschinen, Entscheidungsfähigkeit über dringliche Tätigkeiten bzw. Abläufe, gute Zusammenarbeit mit den Menschen.

Es wird erwartet und gehofft, dass Brasilien sich der digitalen Industrie zuwendet, da die Notwendigkeit erkannt wird, auf mittlere Sicht wettbewerbsfähig bleiben zu können. Denn schließlich fordere der brasilianische  Konsument, der die größte Antriebskraft der brasilianischen Wirtschaft ist, immer mehr Individualität in Bezug auf das Produkt.

 

2.2.        Probleme bei der Umsetzung/ Hemmnisse

Eines der Probleme bei der Umsetzung dürfte der Fachkräftemangel sein. Der Grund hierfür wird im elitären und auf eine akademische Karrierelaufbahn ausgerichteten Schulsystem gesehen. Ein duales System nach deutschem Vorbild konnte sich, im Hinblick auf Dauer und Kosten, nicht durchsetzen. Dass es ein Mindestmaß an qualifizierten Fachkräften gibt, ist dem SENAI-/SENAC-System, der brasilianischen Variante des IHK-/HWK-Systems in Deutschland, zu verdanken. Der SENAI bildet für die Industrie, der SENAC für Handel und Dienstleistungen aus. Die hohe Nachfrage können diese jedoch nicht bedienen.

Als problematisch könnten sich auch die hohen Investitionskosten in der Umstellung auf Industrie 4.0 in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage erweisen.

 

2.3.        Ein Beispiel eines Unternehmensprojektes

Konkrete Projekte von Unternehmen sind kaum vorhanden. Siemens bildet hier eine Ausnahme. Bereits im Oktober 2014 hat Siemens auf ihrer Anwenderkonferenz PLM Industrie 4.0 in São Paulo vorgestellt. Zum 01.06.2015 hat Siemens zur Teilnahme an einer Ausschreibung mit Preisverleihung zum Thema „Wie ändert Digitalisierung Brasiliens Zukunft?“ aufgerufen. Im September 2015 wurden die Preise an die zehn besten Ergebnisse vergeben (siehe: Prêmio de Inovação Siemens 2015). Die vier Themenpfeiler waren: die Zukunft der Industrie, die intelligente Infrastruktur, erneuerbare Energie und Gesundheitssorge.

 

  1. Umfeld für Investitionen

3.1.        Politisches und rechtliches Klima

Brasilien ist eine präsidiale Demokratie. Der Nationalkongress als brasilianisches Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Senat (Senado Federal) und der Abgeordnetenkammer (Câmara dos Deputados). Der Senat besteht aus 81 Abgeordneten, 3 pro Bundesstaat inklusive Bundesdistrikt, die alle 8 Jahren gewählt werden. Die Abgeordnetenkammer besteht aus 513 Sitzen, die nach dem Verhältniswahlrecht alle 4 Jahre besetzt werden. Der Präsident ist zugleich auch Staatsoberhaupt. Seit Januar 2011 ist Dilma Rouseff Präsidentin und wurde im Oktober 2014 wiedergewählt. Mehr als zwei Wahlperioden sind verfassungsgemäß nicht möglich.

Die derzeitige politische Lage wird bestimmt durch Parteienvielfalt, in der keine Partei mehr als 20% der Stimmen hat. Die Präsidentin Dilma Rouseff gehört der PT (Partido dos Trabalhadores), der gemäßigt linksgerichteten Arbeiterpartei an. Der Senat hingegen wird geleitet von Eduardo Cunha, der der PMDB (Partido do Movimento Democrático Brasileiro), einer Zentrumspartei – oder aus linker Sicht einer Rechtspartei -, angehört. Um regieren zu können, muss die Präsidentin immer wieder neue Mehrheiten im Abgeordnetenhaus und im Senat finden.

Die Mehrheitsverhältnisse im Senat sind gegensätzlich zu denen in der Abgeordnetenkammer, so dass es bei Gesetzesvorlagen bzw. –änderungen immer zu großen Machtkämpfen kommt und sich die Parteien gegenseitig blockieren.

Große Probleme entstehen durch die scheinbar dem System immanente Korruption und deren Akzeptanz. Mit dem Aufdecken des Skandals um Petrobras (lava-jato genannt) beginnt ein Umdenken. Hilfreich hierbei ist das neue Antikorruptionsgesetz Lei No. 12.846 aus 2013, das als schärfstes Gesetz weltweit gilt, weil die verschuldensun-abhängige Haftung für Unternehmen eingeführt wurde. Unternehmen können erstmals im vollen Umfang bestraft werden, wenn Mitarbeiter einen Beamten oder Konkurrenten bestechen. Das Unternehmen haftet für jeden korrupten Vorgang nicht nur selbst, sondern auch mit Konsortien, Tochtergesellschaften und im Ausland.

 

3.2.        Protektionismus, Abschottung, Öffnung des Landes

Seit 2011 zeigt Brasilien wieder verstärkt protektionistische Maßnahmen, wie zum Beispiel die hohe Importsteuer, die auf ausländische Produkte erhoben wird, um den unlauteren Wettbewerb gegenüber brasilianischen Produkten in Schranken zu halten. Somit werden inländische Erzeuger zum Nachteil europäischer Unternehmen begünstigt.

Der Local Content (Inlandsanteil) wird durch indirekte Maßnahmen wie z.B. subventionierte Finanzierung durch die Brasilianische Entwicklungsbank oder Steuervergünstigungen für Unternehmen, die einen bestimmten Nationalisierungsgrad erreichen, gesichert.

Als Beispiel hierfür sei Inovar-Auto genannt, das Förderprogramm für die Automobilindustrie. Sind die spezifischen Voraussetzungen erfüllt (z.B. Investitionen in die inländische Forschung und Entwicklung) bietet das Programm eine Ermäßigung der Industrieproduktesteuer (IPI) um bis zu 30%.

 

  1. Weitere rechtliche Informationen

Weitere Informationen zu den Themen

  • Arbeitsrecht,
  • Schutz geistigen Eigentums,
  • Datenschutz,
  • Datensicherheit,
  • Datenherrschaft und Datenverwendung,
  • Produkthaftung und Produktsicherheit,
  • Normenwesen und Zertifizierung

enthält die Publikation „Industrie 4.0 im Rechtsrahmen“,
Caston Report, Hannover 2016, www.caston.info.