In Recht

Prof. Dr. Christiane Trüe,  LL.M. (East Anglia), Hochschule Bremen
Herfurth & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover

Die wirtschaftliche Bedeutung von Daten schlägt sich bekanntlich in vielerlei  Bewertungen nieder, am deutlichsten aber in manchmal astronomischen Kaufpreisen für Internetunternehmen, die viele Nutzer haben, aber noch keinerlei Gewinne.

1.            Einführung und Grundlagen

Industrie 4.0 wirft auch im Bereich des Kartellrechts neue Fragen auf, die es erforderlich machen zu prüfen, ob die bestehenden Grundsätze und Regelungen in der Lage sind, diese zu beantworten bzw. zu angemessenen Lösungen zu führen. Das Bundeskartellamt hat daher bereits Anfang 2015 einen „Think Tank“ der 6. Beschlussabteilung gegründet, um als Kartell­behörde angemessen auf die Herausforderungen der Internetökonomie für die Kartellrechtsanwendung reagieren zu können. Der Think Tank hat am 9. Juni 2016 ein Arbeitspapier zum Thema „Marktmacht von Plattformen und Netzwerken“ vorgelegt[1], auf das im Folgenden mit eingegangen wird.

Daten sind heutzutage ein Wirtschaftsgut und spielen daher eine wichtige, wenn auch je nach Markt, Branche oder beteiligten Unternehmen sehr unterschiedliche Rolle im Wettbewerb. Sie sind vielfach ein wichtiger Inputfaktor für die Entwicklung von Gütern und Dienstleistungen. Ohne Zugang zu ihnen oder zu einem Netzwerk oder einer Plattform, z.B. für Werbung, Vertragsanbahnung oder Datenaustausch, kann es sein, dass Unternehmen von weiterer wirtschaftlicher Tätigkeit in manchen Geschäftsbereichen ausgeschlossen oder erheblich benachteiligt sind. Das Besitzen von Daten, der Anschluss an ein Netzwerk oder die Mitnutzung einer Plattform kann auf der anderen Seite einen Wettbewerbsvorteil bedeuten oder sogar existenznotwendig sein, um im Wettbewerb zu bestehen. Insoweit verlangt die datenbasierte Industrie 4.0 die Anwendung der Wettbewerbsregeln, um zu vermeiden, dass Unternehmen sich aufgrund von Abstimmungen über Datensammlung, -verbreitung oder -nutzung wettbewerbswidrige Vorteile verschaffen, andere Unternehmen durch Verweigerung des Zugangs zu Daten, Netzen oder Plattformen willkürlich aus dem Markt ausgeschlossen werden und Monopole entstehen. Hier stellt sich die Frage nach Besonderheiten der „Datenmärkte“, der „Netzwerkmärkte“ oder der „Plattformmärkte“ gegenüber anderen Märkten und damit nach etwaigen besonderen Wettbewerbsregeln oder Besonderheiten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf eine Kooperation von Unternehmen bei Daten und bei der Beurteilung des Verhaltens marktmächtiger oder marktbeherrschender Unternehmen.

Von anderen Wirtschaftsgütern unterscheiden sich Daten insbesondere dadurch, dass sie i.d.R. nicht verbraucht werden und somit prinzipiell beliebig oft genutzt werden können. Allerdings kann die Exklusivität des Zugangs zu einer Datensammlung, einem Netzwerk oder einer Plattform diese wertvoller machen, wenn die Alleinkenntnis der Daten einen Wettbewerbsvorteil bedeutet. Gleichzeitig vergeht der Wert von Daten sehr schnell; wertvoll sind in aller Regel nur aktuelle Daten. Hinzu kommt, dass das Wirtschaftsgut „Datum“ nicht universell einsetzbar ist, sondern Daten spezifisch für ihre bestimmten Verwendungszwecke sind. Manche Daten sind für eine Branche oder ein bestimmtes Unternehmen interessant und für andere völlig uninteressant, so dass diese dafür nicht bereit wären zu zahlen oder sonst eine Gegenleistung zu erbringen, für andere sind sie dagegen sehr wertvoll, weil ihre Wettbewerbsfähigkeit davon abhängt, dass sie (auch) über die Daten verfügen. Was Netzwerke oder Plattformen angeht, so kann davon ausgegangen werden, dass diese eine hohe Nutzerzahl voraussetzen, um für weitere Nutzer interessant zu sein, und dass bei jedenfalls bei werbebasierten Diensten eine Obergrenze existiert, bei deren Überschreiten die Nutzerzahl wegen zu viel Werbung abnimmt[2].

Aufgabe des Kartellrechts ist es, prinzipielle Chancengleichheit im Wettbewerb herzustellen. Positionen auf dem Markt sollen auf Leistungen beruhen und nicht auf Absprachen oder Abstimmungen mit anderen Unternehmen, mit denen ein Unternehmen im Wettbewerb steht. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Wettbewerb im Allgemeinen unter den Unternehmen Innovation und Leistungen befördert, zur Bildung angemessener Preise führt und damit für die Verbraucher und die Allgemeinheit die besten Ergebnisse hervorbringt. Die prinzipiell freie privatautonome Vertragsgestaltung findet daher ihre Grenze u.a. im Kartellrecht. Dabei müssen zum einen Verträge der Unternehmen individuell auf ihre Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht geprüft werden. Zum anderen kann es hilfreich sein, Muster-Vertragsklauseln für bestimmte Rechtsfragen zu entwickeln, die eine kartellrechtskonforme Vertragsgestaltung von Verträgen über Daten erlauben.

Kartellrecht regelt den Wettbewerb auf nationaler Ebene wie auf EU-Ebene im EU-Binnenmarkt. Wo die Digitalisierung und ihre Folgewirkungen grenzüberschreitend und sogar eher global als begrenzt auf den EU-Binnenmarkt auftreten, ist das nationale Recht (z.B. das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) zur Lösung kartellrechtlicher Probleme vielfach nicht mehr geeignet. Dies muss dann – in Ermangelung eines Welt-Kartellrechts –auf EU-Ebene mit EU-Wettbewerbsrecht, insbesondere auf der Grundlage der Art. 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) und dem zu deren Konkretisierung und Durchführung erlassenen EU-Sekundärrecht versucht werden. Der Umgang mit Daten und Internetdiensten ist dabei kartellrechtlich oft noch unklar. Man kann Daten dem Eigentumsschutz unterstellen und Datensammlungen einen zumindest eigentumsähnlichen dinglichen absoluten Schutz gewähren.[3] Die dadurch geschaffene Rechtsposition wäre wettbewerbsrechtlich besonders zu bewerten und kann u.U. eine marktmächtige Stellung schaffen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob ein eigentumsähnlicher Schutz wie beim geistigen Eigentum durch eine entsprechende schöpferische Tätigkeit gerechtfertigt werden kann. Dies wird bei unterschiedlichen Daten auch unterschiedlich zu beurteilen sein. Das Schutzinteresse derjenigen, deren Daten gesammelt werden, derjenigen, die gesammelte Daten nutzen möchten und derjenigen, die von der Nutzung ggf. ausgeschlossen sind, dürfte zudem je nach Art der Daten und dem Verhältnis zum Datensammler und zum Datennutzer sehr unterschiedlich sein und verlangt möglicherweise z.T. andere als die bisher für Waren- und Dienstleistungsmärkte gefundenen rechtlichen Lösungen.

 

  1. Konkrete wettbewerbsrechtliche Fragen bei Industrie 4.0

Im Folgenden sollen einige wettbewerbsrechtliche Fragen von Industrie 4.0 herausgegriffen werden, ohne dass dabei ein Anspruch auf umfassende Erörterung erhoben werden kann.

 

2.1.        Feststellung des relevanten Marktes im Bereich Industrie 4.0

Eine Wettbewerbsbeschränkung kann nur festgestellt werden, wenn der Umfang des Marktes, auf dem relevanter Wettbewerb stattfindet, bestimmt worden ist, weil nur dann geprüft werden kann, welcher Wettbewerb beschränkt sein könnte.

Für den Bereich der Daten als Wirtschaftsgut stellt sich als relevanter Markt derjenige dar, auf dem die Daten gehandelt werden oder auf dem sie Grundlage einer wirtschaftlichen Tätigkeit sind. Zu beachten ist dabei, dass das Wirtschaftsgut „Datum“ nicht universell einsetzbar ist, sondern Daten spezifisch für ihre bestimmten Verwendungszwecke sind. Manche Daten sind für eine Branche oder ein bestimmtes Unternehmen interessant und für andere völlig uninteressant, so dass diese dafür nicht bereit wären zu zahlen oder sonst eine Gegenleistung zu erbringen. So zeigen Suchanfragen im Internet bei Suchmaschinen, woran ein Internetnutzer gerade oder – bei der Überwachung der Suchanfragen über längere Zeit – generell interessiert ist. Für die angefragten Branchen ist das hochinteressant, für Unternehmen anderer Branchen in aller Regel nicht. Die Suchmaschinen können dem potentiellen Kunden aufgrund der Suchdaten spezifischere und an seinen Bedürfnissen ausgerichtete Ergebnisse aus den angefragten Branchen zeigen und Werbung gezielt auf seine Interessen gerichtet einspielen. Einkäufe im Internet zeigen, bei welchen Waren oder Dienstleistungen sich das Interesse im Kauf manifestiert hat. Ortsinformationen zeigen, wo sich der Nutzer gerade aufhält und möglicherweise ortsspezifische Informationen brauchen bzw. empfänglich für ortsspezifische Werbung sein kann. Auch hier kann Werbung effizienter eingesetzt und können potentielle Kunden gezielter angesprochen werden. Ggf. kann auch die Ware oder Dienstleistung spezifisch auf Kundenbedürfnisse abgestimmt und individuell gestaltet werden. Generell kann auf der Grundlage von Daten über die Kundenbedürfnisse bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen spezifischer auf die Kunden eingegangen und effizienter produziert werden; das Risiko, an den Kundenbedürfnissen vorbei zu produzieren, wird minimiert.[4] Für die Bestimmung des relevanten Marktes bestimmter Daten, Netzwerke oder Plattformen heißt dies, dass die Bestimmung des relevanten Markts viele unterschiedliche Parameter berücksichtigen muss.

Im Falle ihrer Sammlung über einen Zeitraum hinweg können Ortsdaten darüber hinaus das Erstellen von Bewegungsprofilen erlauben und damit weitere Rückschlüsse auf die Person. Dies ist auch der Fall bei der Sammlung medizinischer Daten z.B. durch Messung der Bewegungsaktivität, des Kalorienverbrauchs, des Blutdrucks etc. Hieraus kann nicht nur abgeleitet werden, wofür sich der Nutzer interessieren und welche Werbung ihn ansprechen könnte, sondern es kann sich z.B. auch errechnen lassen, ob eine Person ein gutes oder eher ein schlechtes Versicherungsrisiko ist oder welche Ausfallzeiten der- oder diejenige als Arbeitnehmer oder sonstiger Vertragspartner erwarten lässt. Rückschlüsse auf die Person oder sogar die eigentliche Persönlichkeit lassen sich auch aus dem Austausch persönlicher Daten und Informationen in sozialen Netzwerken gewinnen.

Daten z.B. über Produktionsprozesse oder der Zusammensetzung von Produkten o.ä. wie auch Daten über die Preiskalkulation und Preisfestsetzung sind dagegen von Interesse für die Hersteller und Händler ähnlicher Produkte, können aber als Ergebnisse von Forschung und Entwicklung Betriebsgeheimnisse und Gegenstand von Rechten geistigen Eigentums sein.

Diese Skizze zeigt bereits, wie unterschiedlich der relevante Markt sein kann. Es muss jeweils im Einzelfall geprüft werden, welcher Markt relevant ist.

 

2.2.        Kooperation von Wettbewerbern

Datenpools

Unternehmenskooperationen werfen vielfach kartellrechtliche Probleme auf, wenn sie sich wettbewerbsbeschränkend auswirken können. Dies gilt auch für Unternehmenskooperationen bei der Sammlung, Verteilung und Nutzung von Daten und Wissen. Weiter können Netzwerke von Unternehmen zur Sammlung, Verbreitung und Auswertung von Daten sinnvoll sein, weil es auch bei Daten Größenvorteile gibt: Viele Einzeldatensammlungen von einzelnen Unternehmen sind teuer und erreichen im Zweifel mangels Masse eine geringere Qualität als eine große Sammlung für mehrere oder eine Vielzahl von Unternehmen. Ob die Kooperation von Wettbewerbern aber bei einer gemeinsamen Datenbank endet oder Grundlage für weitere Zusammenarbeit bis hin zu wettbewerbsrechtlich bedenklichem abgestimmten Verhalten ist, ist dann eine zweite Frage. Eine Abstimmung kann schon darin liegen, dass aufgrund der gemeinsamen Auswertung mehrere Unternehmen ihr Verhalten im Wettbewerb an denselben Grundlagen ausrichten. Kartellrechtlich ist es daher problematisch, wenn sich Wettbewerber zu solchen Netzen zusammenschließen und damit zumindest in Teilbereichen ihrer Aktivitäten ihren Wettbewerb beschränken oder einstellen und durch Kooperation ersetzen. Bezogen auf die Marktposition von Wettbewerbern kann es zudem einen erheblichen Unterschied machen, ob einer von ihnen Zugang zu solchen Daten oder zu dem Datennetzwerk hat oder nicht. Besonders problematisch ist dies, wenn sich mehrere marktmächtige Unternehmen mit einer solchen Kooperation ihre Position sichern, diese ausbauen und untereinander den Markt aufteilen und durch Zugangsverweigerung für andere diese aus dem Markt drängen oder für Newcomer den Marktzugang unmöglich machen.

Hier können Probleme ähnlich denen von Einkaufskooperationen z.B. in Form von Einkaufsgenossenschaften entstehen. Im Rahmen der Einkaufsplanung und Lagerhaltung von Einzelhandelsunternehmen spielen die Verkaufsdaten, ermittelt namentlich über die Scanner von Supermarktkassen, eine wichtige Rolle. Diese können dann z.B. bei wettbewerbsrechtlich relevanten Einkaufskooperationen von Einzelhandelsunternehmen ebenfalls von Belang sein, wenn der gemeinsame Einkauf geplant und Marktmacht gegenüber der Marktgegenseite ausgeübt werden soll – ein Beispielsfall für Größenvorteile bei einer Datensammlung. Die Vernetzung erlaubt gerade kleinen und mittleren Unternehmen, auf mehr Daten zuzugreifen und dies für ihre eigene Position im Markt zu nutzen. Gleichzeitig kann die Kooperation aber über das zum Ausgleich des Größennachteils gegenüber der Marktgegenseite Notwendige hinausgehen und damit wettbewerbsrechtlich bedenklich sein.

Wissens- und Forschungspools

Ähnliche Probleme wie bei Datenpools können auch bei Forschungs- und Wissenspools bestehen. Auch hier kann es sein, dass Wettbewerber für Forschungs- und Wissenstransferzwecke miteinander kooperieren oder Lizenzvereinbarungen miteinander eingehen. Hier kann im Falle einer Wettbewerbsbeschränkung aufgrund einer solchen Kooperation dennoch eine Freistellung bereits nach der Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung bestehen.

Insgesamt bleibt jedoch zu beachten, dass durch solche Kooperationen die Unternehmen nicht mehr so sehr als getrennte Einheiten im Wettbewerb agieren, sondern die Grenzen zwischen ihnen verschwimmen und nicht mehr klar erkennbar sind. Stets wird ein Unternehmen bei seinen wettbewerbsrelevanten Entscheidungen auch die Frage zu berücksichtigen haben, wie sich diese Entscheidungen auf die Kooperationspartner auswirken und Schäden für die Kooperation vermieden werden können. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass Entscheidungen mit Rücksicht auf die Wettbewerber-Kooperationspartner anders ausfallen als dies bei einzig auf den Vorteil des eigenen Unternehmens im Markt bezogenen Entscheidungen der Fall wäre.

 

Geoblocking

Geoblocking ist im Internet-Handel ein wesentliches Problem. Wenn Unternehmen durch Geoblocking Kunden ausschließen, so kann dies auf Gebietsvereinbarungen zwischen Unternehmen zurückzuführen sein, die ihre Kunden gebietsweise aufteilen und dazu per Software deren Zugriff auf einen Online-Vertragsschluss blockieren. Klauseln, aufgrund derer Unternehmen nicht ins Ausland liefern und zu diesem Zweck Geoblocking verwenden, finden sich z.B. in Verträgen zwischen Unternehmen. Nach einer Untersuchung der EU-Kommission ist Geoblocking weit verbreitet.[5] Im EU-Binnenmarkt sind Gebietsaufteilungen besonders problematisch, weil sie die zwischen den Mitgliedstaaten abgeschafften Grenzen und staatlichen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Grundfreiheiten für Waren, Personen und Dienstleistungen auf privatem Wege wieder einführen und damit das Funktionieren des Binnenmarktes stören können.

 

2.3.             Beschränkungen des Wettbewerbs gegenüber der Marktgegenseite

Beschränkung des Datenwettbewerb als Preiswettbewerbsbeschränkung

Im Verhältnis zum Verbraucher ist an Daten besonders, dass sie häufig als „Währung“ genutzt werden, d.h. dass die Nutzer von Internetdiensten statt mit Geld mit der Preisgabe ihrer Daten bezahlen. Beschränkt man diese Möglichkeit für die Verbraucher, z.B. mit dem Ziel des Verbraucherschutzes, können diese nicht mehr mit der Preisgabe ihrer Daten um die Leistungen der Datensammler konkurrieren. Fraglich ist daher, ob und inwieweit der Preis in Daten kartellrechtlich einem Preis in Geld gleichgesetzt werden muss. Unter Unternehmen abgestimmte Preisfestsetzungen gehören zu den verbotenen Kernbeschränkungen. Eine Vereinbarung unter Unternehmen oder ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung darüber, dass bestimmte Leistungen nur gegen Preisgabe bestimmter Daten erbracht werden, könnte dem gleichzuordnen sein. Auch hierin liegt ein Eingriff in den Wettbewerb, der kartellrechtlich relevant sein kann. Rechtfertig- und freistellbar mögen solche Abstimmungen z.B. im Rahmen von Selbstbeschränkungen zum Verbraucherschutz sein.

Soweit ein Eingriff in den Wettbewerb staatlicherseits oder durch die EU im Interesse des Verbraucherschutzes durch Rechtsetzung erfolgt, muss stets berücksichtigt werden, ob die Beschränkung hinreichend gerechtfertigt werden kann. Verbote etwa von Unternehmen in Verträgen mit ihren Kunden, ihre Daten auch Wettbewerbern zur Verfügung zu stellen, sind dagegen i.d.R. Wettbewerbsbeschränkungen, die nicht ohne Weiteres gerechtfertigt werden können.

Bindungen im Vertikalverhältnis

Problematisch kann auch eine zu enge Bindung von Teilnehmern der vor- oder nachgelagerten Märkte, also im vertikalen Verhältnis, sein, wenn nicht Wettbewerber direkt miteinander den Wettbewerb beschränken, sondern Anbieter und Nachfrager eine besonders enge Bindung eingehen, die jeweils Wettbewerber als alternative Vertragspartner ausschließt. Dazu können Daten über Geschäftsbeziehungen und insbesondere z.B. Kundenwünsche und –interessen genutzt werden, um Angebote und Leistungen jeweils so individuell zuzuschneiden, dass Wettbewerber des Anbieters dem Kunden nur unter unwirtschaftlichem Aufwand Alternativen anbieten können. Dies gilt besonders im Bereich der Software. Nach der Nutzung einer Software über einen längeren Zeitraum ist es oft kaum möglich, zu einer anderen Softwarelösung zu wechseln, ohne die erste zumindest für die alten Bestandsdaten weiter zu nutzen (und zu bezahlen), um weiter auf diese zugreifen zu können.

In diesem Bereich ist auch der wettbewerbsbeschränkende Bereich von Koppelungsverträgen problematisch, aufgrund derer die Marktgegenseite gezwungen wird, weitere Produkte von dem Vertragspartner zu beziehen und nicht auf dessen Konkurrenten auszuweichen. Auch Anbieter von Software, Hardware, Netzleistungen und Speicherleistungen versuchen derartige Kopplungen am Markt durchzusetzen. Koppelungsverträge sind als Regelbeispiel wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens in EU-Wettbewerbsrecht (Art. 101 Abs. 1 lit. e) AEUV) ausdrücklich verboten, so dass ein Unternehmen es nicht zur Bedingung für einen Vertragsabschluss machen darf, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. Die Verpflichtung zum Bezug von Updates dürfte daher noch nicht unter das Koppelungsverbot fallen, die zum Bezug anderer, nicht nachgefragter und nicht zur Nutzung der Vertragsgegenstands-Software notwendiger anderer Software dagegen schon. Die Regelbeispiele illustrieren, was jedenfalls verbotene Wettbewerbsbeschränkungen sind, und sind nicht abschließend. Weichere Formen von Koppelungsverträgen, mit denen Kunden zwar nicht vertraglich, aber in anderer Weise zur Entgegennahme von gekoppelten Waren oder Leistungen veranlasst und damit am Erwerb von Wettbewerberprodukten gehindert werden, können daher sehr wohl auch verboten sein.

 

2.4.        Missbrauch marktbeherrschender Stellung

Allgemein

Vor allem größere und marktmächtige Unternehmen müssen die Frage im Auge behalten, ob sie im Rahmen der Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien oder bei der Herrschaft über Datensammlungen, Netzwerke oder Plattformen eine marktbeherrschende Stellung haben, die sie dazu verpflichtet, ihre Marktmacht besonders verantwortlich zu gebrauchen. Dies gilt für führende Softwareunternehmen wie Microsoft ebenso wie für Netzwerkdienste und Plattformen wie Google, Facebook, Amazon Marketplace oder Ebay. Jedoch gehören Marktmacht und Unternehmensgröße nicht zwingend zusammen. Auch kleinere Unternehmen können aufgrund ihrer Leistungen oder Produkte eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Von einer marktbeherrschenden Stellung wird allgemein bereits ausgegangen, wenn ein Unternehmen einen 50-%igen Marktanteil hat. Auch ein darunter liegender Anteil kann genügen, wenn es nur ein größeres Unternehmen gibt und die anderen auf dem relevanten Markt tätigen Unternehmen nur über ganz geringe Anteile verfügen. Besondere Märkte mögen daher auch eine besondere Bewertung der Marktbeherrschungsschwelle erfordern. Welche Schwelle eine Marktbeherrschung beim Markt der Daten, Netzwerke und Plattformen angemessen ist, wird sich noch in der Praxis herausbilden müssen. Das Bundeskartellamt geht insbesondere für die Prüfung der Marktmacht von Plattformen und Netzwerken davon aus, dass weiterhin eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände erforderlich ist. Dieses gelte insbesondere für die direkten und indirekten Netzwerkeffekte, deren Vorliegen – ebenso wie die Marktanteile – für sich genommen keine Aussagekraft habe, sondern nur das Prüfprogramm entscheidend beeinflusse[6]. Die oben unter 3.a) dargestellte Betrachtung von Daten als Währung kann auch bei der Feststellung von Marktmacht eine Rolle spielen: Wie die Marktmacht von Unternehmen im Rahmen der Spürbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen bzw. bei der Feststellung einer Marktbeherrschung u.a. danach beurteilt wird, ob ein Unternehmen in der Lage ist, Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus aufrechtzuerhalten, so kann sich Marktmacht auch daraus ergeben, dass ein Unternehmen in der Lage ist, die Preisgabe von Daten für seine Leistungen in einem Ausmaß durchzusetzen, das seinen Wettbewerbern nicht möglich ist. Eine rein monetäre Betrachtung greift hier zu kurz und kann nach bisherigem Stand u.U. nicht die notwendige Wettbewerbskontrolle auslösen, wenn zwar eine große Daten- aber eine (noch) geringe monetäre Preismacht besteht.

Aktuelles Beispiel des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Datenbereich ist Facebook, gegen das das Bundeskartellamt ein Verfahren eröffnet hat, weil der Verdacht des Konditionenmissbrauchs besteht. Darunter versteht man eine unangemessene Nutzung der Marktmacht mit dem Ziel, den Vertragspartnern – hier also den Facebook-Nutzern – Vertragsbedingungen aufzuzwingen, die diese nur wegen des Mangels an anderen Alternativen akzeptieren und sie – insbesondere unter Hintanstellung berechtigter Datenschutzinteressen oder sogar unter Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht – unangemessen benachteiligen.

Essential Facilities

Ein Missbrauch marktbeherrschender Stellung kommt auch nach der Essential-Facilities-Doktrin in Betracht. „Essential facilities“ oder wesentliche Einrichtungen sind solche, ohne deren Mitbenutzung einem Marktteilnehmer der Zugang zu verbundenen Märkten nicht möglich ist. Daher müssen die Inhaber z.B. von Infrastruktureinrichtungen oder Rechten, die über diese Einrichtungen oder Rechte den Zugang zu vor- oder nachgelagerten Märkten beherrschen, anderen Unternehmen die Mitbenutzung ihrer Einrichtungen oder Rechte gestatten, selbst wenn sie selbst auf den vor- oder nachgelagerten Märkten tätig sind und sie damit gezwungen werden, einen Wettbewerber zu unterstützen. Präzedenzfälle und entsprechende gesetzliche Regelungen gibt es z.B. bei netzgebundenen Diensten in Verkehr, Energieversorgung und Wasserver- und -entsorgung, Telekommunikation etc. sowie bei Patenten und Urheberrechten. Nach der EuGH-Rechtsprechung kann die Verweigerung einer Lizenz an einem Schutzrecht missbräuchlich sein, wenn die Zugangsverweigerung willkürlich und geeignet ist, jeglichen Wettbewerb auf einem nachgelagerten Markt auszuschließen. Im Softwarebereich ist insoweit die Weigerung des marktbeherrschenden Unternehmens Microsoft, Interoperabilitätsinformationen zu liefern und ihre Nutzung zu gestatten, als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung angesehen worden.[7]

Auch Daten (-banken oder -sammlungen) oder Einrichtungen zur Datensammlung wie Suchmaschinen wie auch Netzwerke und Plattformen können solche essential facilities sein. Unternehmen stellen ihre Daten Konkurrenten normalerweise nicht zur Verfügung, weil das Haben der Daten oder der Zugang zu ihnen die Marktposition verbessert und auf der anderen Seite der Wettbewerber ohne Zugang zu den Daten im Wettbewerb schlechter dasteht. Daten und ebenso Plattformen und Netzwerke werden daher anderen vorenthalten und bekommen dadurch eine Exklusivität, wodurch Wettbewerber von manchen Geschäftsbereichen ausgeschlossen werden können. Beschränkungen des Wettbewerbs über Beschränkungen des Zugangs sind daher jedenfalls dann bedenklich, wenn andere Unternehmen auf den Zugang angewiesen sind und es keine oder jedenfalls keine wirtschaftlich sinnvollen Alternativen des Zugangs gibt. Wo z.B. ein Werbedienstleister für den Marktzutritt auf Daten wie Suchmaschinenergebnisse über Kundenpräferenzen für das Angebot zielgerichteter Werbung angewiesen ist, kann der Nichtzugang zu den Daten eine Marktzutrittsschranke sein, wenn es kein alternatives Datenangebot gibt und es dem Newcomer auch nicht möglich ist, sich durch eine eigene Datensammlung Zugang zu verschaffen.

 

3.            Fazit

Die aufgegriffenen wettbewerbsrechtlichen Fragen von Industrie 4.0 zeigen beispielhaft einige der neu auftretenden Fragen im Wettbewerbsrecht. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, dass die Entwicklung von Industrie 4.0 auch im Wettbewerbsrecht weitere neue Fragen aufwerfen wird.

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[1] abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Meldungen%20News%20Karussell/2016/09_06_2016_ThinkTank.html.

[2] Vgl. Arbeitspapier BKartA (Fn. 1), Zusammenfassung S. 10 ff., 25 ff., 31, ff.

[3] Auch auf EU-Ebene gibt es Überlegungen dazu, wie Daten geschützt werden können; eine Harmonisierung des Schutzes für Datenbanken sieht insbesondere Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 (ABl. L 77/20) über den rechtlichen Schutz von Datenbanken vor.

[4] Vielfach wird es sich hierbei indes um personenbezogene Daten handeln, die besonders geschützt sind und deshalb aus Datenschutzgründen nicht ohne weiteres frei zur Verfügung gestellt werden können, dazu die neue Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119/1.

[5] Vgl. http://ec.europa.eu/germany/news/kartellrecht-geoblocking-laut-sektoruntersuchung-der-eu-weit-verbreitet_de.

[6] S. 11 der Zusammenfassung des Arbeitspapiers zum Thema „Marktmacht von Plattformen und Netzwerken“ (abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Meldungen%20News%20Karussell/2016/09_06_2016_ThinkTank.html.

[7] EuG T-201/04